Da sage nochmal einer, man könne beim Frühstücksfernsehen nichts lernen. Da gab es einen hoch interessanten Beitrag bei „Volle Kanne“ (ZDF), der sich mit Arzneimittelwechselwirkung auseinandersetzte. Grund für den Beitrag war die Absicht der Einführung von Medikationsplänen für Patienten, die drei und mehr Medikamente gleichzeitig einnehmen müssen.
Denn laut pharmakologischem Lehrsatz wirkt viel viel, aber erzeugt auch viel an Nebenwirkungen. Und wenn dann mehrere Arzneimittel gleichzeitig den Weg in den Organismus finden, kann es zu einer breiten Palette an möglichen Wechselwirkungen kommen.
Wie so etwas im Detail aussehen kann und welche verheerenden Wirkungen damit erzeugt werden können, das hatte ich unter Medikamente & Wechselwirkungen – ein Fall für evidenzbasierte Unkenntnis diskutiert.
Im Oktober 2016 sollte es also so weit sein: Patienten mit drei oder mehr Arzneimitteln werden mit einem Medikationsplan versehen (Herausforderung Medikationsplan). Warum und wozu? Diese Maßnahme scheint Sinn zu haben, wenn man sich das Beispiel aus dem ZDF-Beitrag anschaut: Eine noch nicht ganz so alte Patientin hatte zusätzlich zu ihrem Medikamenten-Cocktail noch vom Hausarzt ein Antibiotikum verordnet bekommen. Wofür beziehungsweise wogegen?
Gegen eine akute Bronchitis. In ihrer Stamm-Apotheke „schlägt der Computer zum Glück Alarm“. Denn die Kombination des Antibiotikums mit der Dauermedikation hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu beträchtlichen Nebenwirkungen/Wechselwirkungen geführt, wie lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen. Ein Anruf beim Hausarzt klärte dann die Situation und das Medikament wurde ersetzt.
Die hier geschilderte Situation ist suboptimal. Sie ist optimal insofern, als die Patientin eine Stamm-Apotheke hat, die ihre Patientendaten und Verordnungen in einem Computersystem gespeichert hat. Nur durch diesen Umstand konnte die Frau vor der Einnahme einer unverträglichen Kombination von Medikamenten geschützt werden. Oder mit anderen Worten: Hätte die Patientin ihr Antibiotikum in einer anderen Apotheke gekauft, wäre diese Unverträglichkeit beim Medikamenten-Mix erst dann aufgefallen, wenn es zu den Wechselwirkungen gekommen wäre.
Hier stellt sich natürlich sofort die Frage, warum die Apotheke solche Stammdaten hat, die auf Wechselwirkungen testen und nicht der Hausarzt? Die Apotheke hat diese Möglichkeiten, da man als Apotheker die pharmakologische Seite der Behandlung besser kennt als der Arzt, der die Medikamente verordnet. Das liegt nicht zuletzt in der Natur der Ausbildung des Apothekers als Pharmakologe. Aber – und jetzt kommt die hirnrissige Kehrseite der medizinischen Praxis – er darf den Patienten kein Medikament verordnen. Das darf nur der Arzt, der sich aber mit den pharmakologischen Eigenschaften der Medikamente, die er verordnet, bei weitem weniger gut auskennt als der Apotheker, der sein Rezept entgegen nimmt.
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Da nimmt es kaum Wunder, wenn Apotheker und Arzt unter Umständen nicht den besten Umgangston miteinander finden können. Denn aus pharmakologischer Sicht gibt es „immer mal wieder“ Verordnungen, die mit der Indikation des Patienten kaum was zu tun haben. Beispiel: Antibiotika bei Vireninfektionen. Oder aber, und das ist noch häufiger und noch unübersichtlicher, es werden mehrere Medikamente oder Zusatzmedikamente zu bereits gegebenen Arzneimitteln verschrieben, deren Interaktion so ausgeprägt ist, dass sie für den Patienten in einem pharmakologischen Desaster münden. Wenn dann der Apotheker korrigieren muss, dann kann das zu Reibungspunkten mit dem verordneten Arzt führen, der sich auf sein alleiniges Recht auf Verschreibung beruft und sich vielleicht in seiner Berufsehre verletzt sieht.
Lösung: Der Apotheker darf jetzt auch Verschreiben? Wenn dem so wäre, dann müsste der Apotheker lernen, Krankheiten zu diagnostizieren. Aber dann wäre er kein Apotheker mehr, sondern schon fast ein Arzt. Ein Apotheker kennt sich in dem Moment besonders gut aus, wenn die Diagnose abgeschlossen, die Krankheit identifiziert und eine medikamentöse Behandlung als Therapie gewählt worden ist. Und hier fängt der Arzt an, im Wissensschatten des Apothekers zu stehen, da in der Regel – und Ausnahmen bestätigen dieselbe – Ärzte nur ein vergleichsweise rudimentäres Pharmakologiestudium absolvieren müssen.
Daher ist es besser und praktikabler, die Pharmakologiekenntnisse des Arztes zu verbessern? Dazu müsste der dann wieder die Schulbank drücken, was aber auch keine Lösung ist. Die praktischste aller Lösungen ist die EDV mit einzubeziehen. Denn Wechselwirkungen zwischen Medikamenten sind so komplex und weitreichend, dass selbst ein waschechter Pharmakologe nicht in der Lage ist, hier einen kompletten Überblick zu bewahren. Ein Computer mit einem gut gestrickten Programm dagegen kann das hervorragend.
So kommt im ZDF-Beitrag ein niedergelassener Arzt zu Wort, der die praktische Lösung für sich selbst schon realisiert hat. Der verordnende Arzt muss einfach in der Lage sein, die Neben- und Wechselwirkungen der von ihm verschriebenen Medikamente zu benennen. Und was da an Wissen fehlt, was aufgrund der Komplexität und Natur von Organismus und Pharmakologie keine Schande ist, kann über eine geeignete Software gut kompensiert werden. Dazu muss der Arzt aber das erstellen, was jetzt im Oktober mit dem Wort „Medikationspläne“ bezeichnet wird.
Vorsicht Lücke
Natürlich ist ein elektronischer Medikationsplan und Wechselwirkung-Checker immer nur so gut wie die Software, die dafür zur Verfügung steht. Aber auch bei einer guten Software gibt es noch eine Falle. Denn wenn Medikamente, die genommen werden, keinen Eingang in den Plan finden, dann funktioniert der Plan auch nicht. Das Gleiche gilt für die frei verkäuflichen Medikamente und auch für Naturheilmittel, die zum Teil ebenfalls Interaktionen mit Medikamenten haben können. Eine Software muss so programmiert sein, dass auch solche Interaktionen erfasst sind, sonst kann es zu unangenehmen Überraschungen kommen.
Auch Prof. Glaeske von der Universität Bremen betont als erstes die Notwendigkeit, dass Patienten in ihrem Medikationsplan „nichts verschweigen“. Und er betont auch den von mir weiter oben diskutierten Zwiespalt zwischen Ärzten und Apothekern, wo eine so gute Kommunikation, wie im Film gezeigt, leider nicht der Normalfall zu sein scheint.
Ab Oktober also wird der Hausarzt für seine Patienten einen Medikationsplan (auf Papier erst einmal) erstellen müssen. In zwei Jahren soll dann das ganze System über EDV, sprich eGK, laufen. Prof. Glaeske fordert eine Art „koordinierenden“ Arzt, der für die Einträge beim Patienten zuständig ist. Denn es gibt etliche Patienten, die aufgrund weiterer Beschwerden andere Fachärzte besuchen, die natürlich ihr Kontingent an Verschreibungen beisteuern.
Diese Medikationen sollen ebenfalls in den Medikamentenplan eingetragen werden, damit jeder behandelnde Arzt, sei es Hausarzt oder Facharzt, sofort sehen kann, was der Patient an Medikamenten einnehmen muss. Sollte der Arzt dann Bedenken haben in Bezug auf Interaktionen, dann hat er entweder selbst eine Quelle, die ihm Aussagen dazu machen kann (Wechselwirkung-Checker) oder er ruft einen Apotheker (seines Vertrauens) an, der ihm die gewünschte Information zukommen lässt.
So dringend die Notwendigkeit auf Seiten der Patienten besteht, alle Informationen zu den Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln in den Plan einzutragen, um ein vollständiges Bild zu erhalten, es gibt keine rechtliche Handhabe, die Patienten dazu zu zwingen. Wenn der Patient nicht will, dass sein Antidepressivum zum Beispiel im Medikationsplan erscheint, dann hat er das Recht, diese Angabe auszulassen.
Wie die rechtliche Lage aussieht, wenn aufgrund von Auslassungen Interaktionen auftreten, darüber kann ich nur spekulieren. Als normal und vielleicht auch naiv denkender Mensch würde ich vermuten wollen, dass es dann in die Verantwortung des Patienten fällt, wenn er wissentlich Informationen unterschlägt, aus welchem Grund auch immer, und dann nicht erklärbare Nebenwirkungen erhält.
Fazit
Der Medikationsplan auf Papier und der Plan per eGK in zwei Jahren bietet die fast traumhaft zu nennende Chance, bei Patienten mit mehreren Medikamenten ein gediegenes Maß an Nebenwirkungen aufgrund von Wechselwirkungen zwischen den eingenommenen Arzneimitteln zu verhindern. Schwachstelle ist diesmal der Patient, der möglicherweise keine vollständigen Angaben machen kann oder will. Sollte der Arzt nachlässig sein, ergibt sich eine weitere Schwachstelle.
Aber solche vollständigen Informationen sollten gerade im Interesse des Arztes sein, damit er seine Patienten ohne vermeidbare Nebenwirkungen therapieren kann. Für den Arzt ist es dann auch eine Überlegung wert, sich ein Computerprogramm zu beschaffen, mit dem man solche Wechselwirkungen bestimmen kann. Oder er heiratet eine Apothekerin.
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Beitragsbild: pixabay.com – Matvevna
8. Oktober 2016 um 12:21
Hallo Rene,
wirklich sehr interessanter Beitrag! Ich halte es ebenfalls für äußerst gefährlich, wenn viele Medikamente zeitnah eingenommen werden – über die potentiellen Nebenwirkungen sind sich viele nicht bewusst! Deswegen gefällt es mir sehr, dass du in dieser Hinsicht Aufklärungsarbeitet leistet. Sehr empfehlenswerter Blog 🙂 Macht auf jeden Fall weiter so.
Grüße,
Cindy
9. Oktober 2016 um 22:08
Das wäre alles kein Problem, wenn alle Verordnungen beim Arzt auf der Gesundheitskarte gespeichert würden. Dann hätte der Apotheker alle notwendigen Informationen. Und eine gute Software würde auch gleich beim Arzt anzeigen, dass die Konsultation eines Pharmazeuten notwendig ist.
10. Oktober 2016 um 09:26
Leider wissen viele Ärzte gar nichts von Wechsel- bzw. Nebenwirkungen, oder wollen davon nichts wissen. Ich hatte z.B. ein Antibiotikum gegen Zeckeninfektion und sollte dazu noch ein Schmerzmittel für Fersensporn einnehmen. Das Ergebnis sind immer noch anhaltende Magenbeschwerden. Über Nebenwirkungen kann ich wirklich ein Lied singen. Da ist das hier nur mal so ein Beispiel. 🙂
11. November 2016 um 14:01
Das ist ja endlich auch mal ein Anfang im Sinne des Patienten und auch dessen Angehörigen.
Ich selber nehme zwar keine Medikamente, aber mein Mann.
Da er auch verschiedene Präparate einnehmen „muss“, bin ich schon seit langem wegen der Wechselwirkungen besorgt.
Nun frage ich mich allerdings, wie es mit den Medikamenten ist, die dauernd wechseln, d.h., wo dauernd der Hersteller wechselt.
Das wird ja immer erst in der Apotheke klar.
Sicherlich ist der „Wirkstoff“ der gleiche, aber die Zusammensetzung insgesamt???
Also stimme ich Ihnen zu, dass der Arzt am allerbesten eine Apothekerin heiraten sollte und für meinen Mann wünsche ich mir, dass er mit mir andere Wege sucht und auch geht, um von den Medikamenten und der Pharma wegzukommen.
Wir werden es dahingehend schaffen!!
Früher gab es auch nur die Natur und die Menschheit überlebte wahrscheinlich nur deshalb!!!!!
14. November 2016 um 13:15
Hallo, ich freue mich.dass endlich die Frage der Wechselwirkungen bei Medikamenten diskutiert wird.Ich fordere seit Jahren,dass die Biochemieausbildung der Mediziner intensiviert wird. Aber viele benehmen sich wie Schüler,die beim Experimentieren alles zusammen kippen. Mal sehen,was passiert! Genau so ist es mit einem Medikamentencocktail!
14. November 2016 um 16:40
Hallo Herr Gräber, mit großem Interesse lese ich jeweils Ihre E-Mails. Nun bin ich aber etwas verwirrt weil ich mitten in Ihrem Text eine Werbung von Purina laufen sehe?!?! Warum macht ein so Pharmakritischer Naturheiler Werbung mit Nestlé?? Die gehört zwar nicht zur Pharmaindustrie, macht aber genau so Profit wie Roche, Novartis, Pfizer und Co. Bin enttäuscht und es nimmt mich Wunder ob, ich eine Antwort erhalte und Sie meine Anfrage veröffentlichen..
Freundliche Grüße
Mirjana Sommer
Antwort René Gräber:
Ja, das ist so ein Problem mit den Anzeigen. Ich stelle Google nur den Platz zur Verfügung und die spielen das dann ein. Je nachdem was Google denkt, was zum Thema passen könnte. Ich bin da selbst nicht sehr glücklich, was da manchmal (zum Glück selten) für Werbung angezeigt wird. Aber in der Masse halte ich es für hilfreich und es hilft die Webseiten u.s.w. zu finanzieren…
29. November 2016 um 15:26
Zu „Vorsicht Lücke“: auf .careio-medic.de gibt es inzwischen einen elektronischen Medikationsplan (BMP-konform), dem mit einer Suchfunktion alle in Deutschland zugelassenen Arzneimittel, auch nicht verschreibungspflichtige, hinzugefügt werden können. Es können auch eigene Rezepturen/Wirkstoffe hinzugefügt werden. Dieser Medikationsplan kann inkl. dem maschinenlesbaren 2D-Barcode ausgedruckt oder von den Patienten online für bestimmte Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken, Pflegedienste usw. zur Ansicht oder auch zur Bearbeitung/Aktualisierung freigegeben werden. Es kann online ein Medikationscheck durchgeführt werden oder die Medikation kann zur Überprüfung an einen qualifizierten Dienstleister freigegeben werden, wobei auch personenbezogene Parameter berücksichtigt werden können. Dieser elektronische Medikationsplan kann von Patienten und Ärzten kostenlos zeitlich unbegrenzt genutzt werden. Daumen hoch – würde ich mal sagen.