In Großbritannien gibt es einen Trend, bei dem bevorzugt Mädchen, aber auch Jungen, in den Teen-Jahren zu einer Praxis von Selbstverletzungen neigen, dessen Ursache ein „toxisches Klima“ zu sein scheint. Dieses Klima jedoch ist nicht durch den Wetterbericht oder Umweltgifte zu erklären, sondern umreißt eine besondere Form ungünstiger „sozialer Bedingungen“, in denen die Jugendlichen leben müssen.
Diese Bedingungen sind anscheinend so ungünstig, dass die Notaufnahme von Teenagern in den Krankenhäusern innerhalb eines Jahres um 10 Prozent gestiegen ist. Die Statistik sagt, dass vom Juni 2012 bis Juni 2013 mehr als 13.000 Fälle von Selbstverletzungen von Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren gezählt wurden, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten. Im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor waren es „nur“ etwas über 12.200.
Bei den Jungen sah es etwas „günstiger“ aus. Hier sahen die Experten für den gleichen Zeitraum nur 4000 Fälle von Selbstverletzungen von Jungen zwischen 15 und 19. Davon mussten 3500 Jungen ärztlich versorgt werden. Ein Jahr zuvor lag die behandlungsbedürftige Selbstverletzungsrate noch 24 Prozent höher.
Lucie Russell ist die leitende Mitarbeiterin von YoungMinds UK, einer Organisation, die sich um das Wohl von Jugendlichen kümmert. Sie sieht die Ursachen für das toxische Klima in einer Reihe von Tatsachen, wie zum Beispiel die permanente Präsenz einer Internet-Kultur, die, ähnlich wie die Werbung, gehirnwäscheartig auf die Psyche der Jugendlichen einwirkt. Cyber-Mobbing, „Sexting“ (Versand eigener Nackfotos), Gewalt-Videos, Werbeideale von Aussehen und fragwürdigen Schönheitsidealen und so weiter, sind Garanten für sozialen Stress bei den Jugendlichen. Diese können sich anscheinend nur schwer von dem „toxischen Klima“ frei machen, das sie ertragen müssen. Und: Russell glaubt nicht, dass dieses „Klima“ ein notwendiges oder gar unumgängliches Stadium der jugendlichen Entwicklung sei.
Dennoch: Die Folge ist die Entwicklung von Depressionen, die bei Jugendlichen häufiger zu sein scheinen als weithin angenommen wird. So besagt die britische Statistik, dass fast 80.000 Kinder und Jugendliche, mit mehr als 8000 Kindern unter 10 Jahren, unter einer schweren Depression leiden.
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Zurück von der Insel
Man mag jetzt glauben, dass die oben vorgetragenen Zahlen eine Art „Insel-Phänomen“ sind, oder eine typisch britische „Marotte“. Dem ist leider nicht so. Laut „Deutsches Bündnis gegen Depression e.V.“ liegt in Deutschland die Depressionsrate bei Kindern im Vorschulalter schon bei rund 1 Prozent, im Grundschulalter bei knapp 2 Prozent. Im Alter von 12 bis 17 Jahren, so ergeben Hochrechnungen, leiden 3 bis 10 Prozent aller Jugendlichen unter einer Depression.
Im Jahr 2011 wurde eine Gesundheitsstudie von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse in Zusammenarbeit mit der Leuphana Universität Lüneburt durchgeführt, an der 4840 Schüler und Schülerinnen teilnahmen. Das Ergebnis: Jeder dritte Schüler leidet an depressiven Stimmungen, fühlt sich unverstanden und antriebslos. Haupt- und Realschüler waren deutlich stärker betroffen als Gymnasiasten. Laut Studie steigt, die Depressionsrate von 23 Prozent im elften Lebensjahr auf (gewaltige) 33 Prozent im achtzehnten Lebensjahr. Aber auch die 23 Prozent der Elfjährigen mit Depressionen jagt einem den kalten Schauder den Rücken runter. Hier scheint es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu geben. Wenn man sich dann die Situation bei Schülern mit Migrationshintergrund anschaut, dann wird es noch düsterer: 36 Prozent dieser Schüler sind depressiv (Depressionen und Suizidalität im Kindes- und Jugendalter).
Kein Wunder also, wenn man dann Zahlen zu lesen bekommt, die von einer hohen Selbstverletzungsrate auch in Deutschland zeugen. Laut Prof. Plener von der Universität Ulm liegt diese in Deutschland zwischen 15 und 26 Prozent (Nonsuicidal self-injury in adolescence). Gründe dafür sieht er unter anderem in Selbstbestrafung oder in der Auslösung von körpereigenen opioiden Substanzen, hervorgerufen durch den Schmerz (siehe auch mein Beitrag: Wie merken wir Schmerzen? oder „Schmerzen verarbeiten„).
Die Heidelberger Schulstudie (Selbstverstümmelung unter Jugendlichen) mit 5500 Schülern zeigte, dass circa 11 Prozent der Jugendlichen im Alter von 14 Jahren sich ein- bis dreimal pro Jahr Verletzungen zufügen. 4 Prozent der Schüler tun dies sogar viermal pro Jahr. Hierbei sind Mädchen im Vergleich zu den Jungen doppelt so häufig betroffen.
Aber nicht nur die Selbstverletzungen sind besorgniserregend. Es ist allgemein zu bemerken, dass sich das Risikoverhalten der Jugendlichen deutlich verändert hat. Alkoholkonsum, laut Studie, scheint eine noch eher „harmlose“ Selbstverständlichkeit zu sein. Denn nur 30 Prozent der Schüler waren noch nicht in den „Genuss“ von Alkohol gekommen. Mehr als 50 Prozent tranken gelegentlich Alkohol. Und für 1,8 Prozent war Alkohol Teil der täglichen Ernährung.
Beim Rauchen dagegen sah es etwas besser aus. Denn immerhin hatten 63 Prozent noch nie geraucht. Aber 17 Prozent waren regelmäßige Raucher, also rauchten täglich. Der Rest von 20 Prozent gab sich als Gelegenheitsraucher aus.
Die Schüler wurden auch befragt zum Thema „Diät und Übergewicht“. Rund 47 Prozent der Mädchen empfanden sich als „zu dick“. Bei den Jungen waren das nur 23 Prozent. 56 Prozent der Mädchen hatten schon einmal eine „Schlankmacher-Diät“ durchgeführt, und 25 Prozent mehr als nur eine. Bei den Jungen waren es nur 23 Prozent, die es mit einer einmaligen Diät versucht hatten, 7 Prozent mit mehreren Diäten.
Objektiv jedoch fiel die Rate an Übergewicht signifikant geringer aus als dies das Verhalten der Jugendlichen erscheinen lässt: Bei den Mädchen waren „nur“ 11 Prozent objektiv übergewichtig (was auch kein Grund zum Jubeln ist, denn dieser Wert ist für Jugendliche auch viel zu hoch). Von den Jungen waren 13,5 Prozent übergewichtig.
Fazit
Und damit schließt sich der Kreis: Zu dick, zu dumm, zu wenig angepasst an das toxische Klima und der Stresspegel steigt noch einmal signifikant an – eine nimmer enden wollende Spirale ins Ungewisse? Auf der anderen Seite ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eines gewiss, und das ist die erhöhte Bereitschaft zur Entwicklung von „subnormalen“ Verhaltensmustern, die aus Angst geboren wurden und in einer „saftigen“ Depression enden. Da ist die Selbstverletzung beziehungsweise Selbstverstümmelung nur ein logischer Zwischenschritt. 2009 begingen 587 Menschen unter 26 Jahren Selbstmord. Davon waren 194 zwischen 15 und 19 Jahre alt (Jeden Tag bringt sich mindestens ein junger Mensch um). 2006 waren 18 Prozent aller Selbstmörder Jugendliche und junge Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren (Anteil der Suizide an allen Todesursachen in den Altersgruppen zwischen 15 bis unter 45 Jahre im Jahr 2006). Kein Wunder also, wenn die Online-Ausgabe von Focus berichtet: Deutschland: Immer mehr Jugendliche begehen Selbstmord.
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5. März 2014 um 21:10
Die heutige Gesellschaft liefert den Kindern und Jugendlichen Maßstäbe, die sie nie im Leben erreichen können. Nur wer gut aussieht, eine perfekte Figur hat und gut in der Gesellschaft integriert ist, hat laut Medien langfristig Chancen im Leben. Gut integriert bedeutet in diesem Fall nicht aus der Reihe zu tanzen, keine anderen Gefühle oder Gedanken haben wie der Rest der Welt, einfach ein Fisch im großen Strom zu sein.
Doch jeder Mensch ist ein eigenes Individuum mit Schwächen und Stärken. Kein Wunder, dass Jugendliche mit diesem Druck nicht klar kommen und Depressionen und andere psychische Störungen entwickeln. Eine der wirksamsten Kompensationsstrategien ist ein gesundes Selbstwertgefühl. Eine positive Einstellung zum selbst wird durch Lob, Erfolgserlebnisse und Respekt durch andere erreicht. Also sollte man als Elternteil möglichst schädliches toxisches Klima vermeiden und stattdessen auf eine liebevolle, schätzende Umgebung achten.
18. Juli 2017 um 14:22
Depression im Pubertätsalter ist eines der größten Probleme, nicht alle Eltern ihr Kind aus dieser Depression zurückziehen können. Sie müssen nur Kraft und Geduld gewinnen