Medikamentenskandale

Wenn der Einsatz von Medikamenten zur Ursache des Einsatzes von Medikamenten wird

Das ist schon ein tolles Szenario: Patienten bekommen ja eigentlich Medikamente, damit Erkrankungen behandelt werden. Da diese Medikamente Nebenwirkungen mit sich bringen können, werden sehr oft wieder Medikamente eingesetzt, um die Nebenwirkungen des ersten Medikaments zu bekämpfen.

Theoretisch könnte man dieses Szenario bis ins Unendliche fortsetzen. So könnte aus einem simplen Magenkneifen eine ernstzunehmende Krankheit kreiert werden, die mit einer Wagenladung an Medikamenten behandelt werden müsste.

Selbstredend wären diese Erkrankungen dann auch ein Leben lang behandlungsbedürftig. Na, wenn das kein Eldorado für die Hersteller der Nebenwirkungen (ich meine Medikamente) ist…

Geht der Gaul mit mir durch?

Dass die Medizin aus einem kleinen Pups einen Donnerschlag macht, so was gibt es doch nicht in der lauteren und würdevollen medizinischen Gemeinschaft.

Schön wäre es ja, aber leider gibt es dieses Szenario sehr wohl. Um von Beginn an Missverständnisse zu vermeiden: Dieses Szenario stellt sich in der Realität nicht so karikiert dar, wie ich das zu Anfang des Beitrags gemacht habe. Auf der anderen Seite sind aber alle wesentlichen Züge und Bedingungen für dieses Szenario gegeben.

Hier ein typisches Beispiel: Arthritis. Es handelt sich hier nicht unbedingt um eine zu vernachlässigende Erkrankung. Nicht zuletzt ist der Leidensdruck der Betroffenen nicht zu unterschätzen. Um hier Abhilfe zu schaffen, verschreibt der Arzt dem Patienten ein NSAR (nichtsteroidalen Antirheumatikum).

Dies wirkt nicht nur als Hemmer gegen die Entzündungen in den Gelenken, sondern wirkt zudem auch als Schmerzmittel. Natürlich wird mit dieser Form der medikamentösen Behandlung nur die symptomatische Seite der Erkrankung angegangen.

Das Ignorieren der Ursachen garantiert dann auch, dass diese Behandlung über einen langen Zeitraum erfolgen muss. Denn stoppt der Patient seine Medikamenteneinnahme, dann kehren auch die Arthritissymptome, und vor allem die Schmerzen zurück.

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Eine langfristige Einnahme dieser NSAR jedoch bringt Risiken und Nebenwirkungen mit sich, wo es auch nicht hilft, seinen Doktor oder Apotheker zu befragen. Denn die beiden wissen, dass die „beliebteste“ Nebenwirkung die Schädigung der gastrointestinalen Schleimhäute ist.

Diese Schädigung ist die Eintrittspforte für die Ausbildung von Magen- und Darmgeschwüren, die wiederum im fortgeschrittenem Stadium zu ernsthaften gastrointestinalen Blutungen führen können.

Um diese garstige Nebenwirkung zu vermeiden, wird ein weiteres Medikament eingesetzt. Inzwischen gilt es als eine Art „Notwendigkeit“ in der Schulmedizin, NSAR mit Protonenpumpenhemmern zu kombinieren, die die Schleimhautschäden verhindern sollen.

Theoretisch könnte man jetzt auch noch Medikamente gegen die typischen Nebenwirkungen der Protonenpumpenhemmer einsetzen, also gegen Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Hautveränderungen, veränderte Leberwerte, Sehstörungen, Erblindung etc. Aber hier hört dann das theoretische Szenario in der Praxis auf, Gott sei´s gedankt.

Aber da der Teufel im Detail steckt, scheint diese „gut gemeinte“ Absicht der Mediziner ein Schlag ins Wasser zu sein. Denn die evidenzbasierte Sorglosigkeit bei der Überprüfung, ob denn jetzt die Kombination von NSAR und Protonenpumpenhemmern wirklich die zu erwartenden Schäden eindämmen bzw. verhindern kann, wird durch eine Studie neueren Datums kräftig erschüttert. (1)

Studien wider den medizinischen Alltag

Die Arbeit beginnt mit der Feststellung, dass Protonenpumpenhemmer und NSAR mit zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten gehören, wobei die Kombination beider Substanzklassen eine häufig eingesetzte Therapie darstellt. Ziel der Kombination ist, wie oben schon erwähnt, die gastrointestinalen Schäden zu limitieren, die durch die NSAR entstehen.

Jedoch bezweifeln die Autoren dieser Arbeit, dass eine Blockade der Magensäureproduktion durch einen Protonenpumpenhemmer in der Lage ist, einen relevanten Schutz gegen NSAR induzierte Schäden zu gewährleisten. Dies gilt besonders für die entfernteren Bereiche des Dünndarms.

Um hier ein wenig Licht ins Dunkel des Verdauungssystems zu bringen, behandelten die Autoren Ratten 9 Tage mit Omeprazol und Lanzoprazol, beides Protonenpumpenhemmer. Gleichzeitig wurden die Ratten an den letzten 4 Tagen des 9-tägigen Behandlungszeitraums mit Naproxen oder Celecoxib behandelt.

Bei Naproxen handelt es sich um ein nicht selektives NSAR, bei Celecoxib um einen selektiven COX-2 Hemmer, eine „fortgeschrittene“ Form von NSAR. Nach diesen 9 Tagen wurden die gastrointestinalen Schäden der Tiere begutachtet, Veränderungen im Hämatokrit notiert und die Mikroflora des Dünndarms bestimmt.

Resultat: Beide Protonenpumpenhemmer förderten signifikant die gastrointestinalen Schäden, die Naproxen und Celecoxib verursacht hatten. Bei Omeprazol waren nicht so sehr die Schäden an den Schleimhäuten das Problem.

Hier vielmehr schien die Substanz eine enorme Veränderung der Bakterienkultur im Jejunum (Leerdarm oder mittlerer Teil des Dünndarms) zu bewirken, da zum Beispiel Actinobakterien und Bifidobakterien um 80 Prozent reduziert wurden. Wurden dann die fehlende Bakterienkulturen während der Behandlung mit Omeprazol und Naproxen ersetzt, kam es zu keinen Schäden bzw. Blutungen der Schleimhäute.

Daraus schlossen die Autoren, dass eine kombinierte Gabe von Protonenpumpenhemmern und NSAR zumindest teilweise Schäden an der gastrointestinalen Schleimhaut hervorruft. Grund dafür ist auch die radikal negative Beeinflussung der Bakterienkulturen im Dünndarmbereich.

Folglich ist die Vermeidung des Untergangs bzw. Wiederherstellung der Bakterienpopulationen im Gastrointestinaltrakt eine ernstzunehmende Option, um die Häufigkeit und Schwere der NSAR induzierten Enteropathien zu vermeiden.

Damit scheint diese Arbeit auch ein Votum für eine Therapie mit Probiotika zu sein, denn der Einsatz von Probiotika wäre die einfachste Strategie, um die gastrointestinale Mikroflora aufrecht zu erhalten oder zu erneuern. Nicht zuletzt bei Reizdarmsyndromchronisch-entzündlichen Darmerkrankungen – Colitis ulcerosa etc. haben Probiotika außerordentlich gute Ergebnisse zeitigen können.

Aber eine Schwalbe macht ja noch keinen Sommer, so könnte man gegen die „voreilige“ Annahme der Ergebnisse dieser Studie argumentieren. Aber die nächste Schwalbe ist schon im Anflug.

Witzigerweise ist diese Studie im Oktober 2011 veröffentlicht worden bzw. wird veröffentlicht werden. Die Autoren sind ihrer Zeit ein wenig voraus, wie es scheint. (2)

Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine Meta-Analyse von bereits durchgeführten Studien in diesem Themenbereich. Darüber hinaus wollten die Autoren herausfinden, ob die selektiven NSAR (COX-2) alleine gegenüber nicht selektiven NSAR plus Protonenpumpenhemmern irgend welche Vorteile bringen bezüglich Nebenwirkungsraten.

Das gesamte Material umfasste 6219 Patienten aus 6 randomisierten, doppelblinden, Plazebo kontrollierten Studien. Aber das Ergebnis der Analyse bestätigte die Ergebnisse der vorherigen Arbeit an den Ratten: Es ist gleichgültig, ob COX-2 oder NSAR mit Protonenpumpenhemmern zum Einsatz kommen.

Die Schleimhautschäden sind vergleichbar. Es gab keine signifikanten Unterschiede bei den gastrointestinalen Symptomen. Interessant ist auch zu lesen, dass die Analyse kardiovaskuläre Probleme bei beiden Therapieformen zu verzeichnen hatte, die ebenfalls nicht signifikant unterschiedlich ausfielen.

Die Autoren dieser Arbeit zogen den Schluss, dass die COX-2 nicht besser sind als die nicht selektiven NSAR plus Protonenpumpenhemmer in Bezug auf gastrointestinale Schäden und Symptome in der Langzeitbehandlung von Osteoarthritis und rheumatoider Arthritis. Von daher sehen sie die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung von gastrointestinalen und kardiovaskulären Risiken bevor der Therapeut die Medikation beginnt.

Fazit

Es scheint sich im Fall der kombinierten Gabe von NSAR und Protonenpumpenhemmern seitens der Ärzte um ein reflexartiges Verordnungsverhalten zu handeln, dem aber die immer wieder so heftig eingeforderte evidenzbasierte Beweisführung für alternative Therapien zu fehlen scheint.

Im Gegenteil: Das, was momentan an Evidenz und Basis auf dem wissenschaftlichen Gebiet produziert wird, scheint genau das Gegenteil zu zeigen.

Da fragt man sich schon, warum und wie solche „verrückten“ Therapieformen so breit Fuß fassen konnten, ohne Evidenzbasierung, ohne bzw. mit mangelhaften wissenschaftlichen Studien usw. Aber vielleicht geht man von schulmedizinischer Seite auch nur davon aus, dass der Patient mit diesen „kleinen Übeln“ halt leben muss.

Immerhin werden die Arthritissymptome kurz gehalten. Das ist doch auch schon was wert, oder? Vorteil für Arzt und Apotheker: Der Patient bleibt Patient, bleibt zahlender Kunde. Bei Zweifeln an diesen Ausführungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. . .


Quellen und Studien auf die ich mich im Beitrag beziehe:

  1. Wallace et al.: Proton Pump Inhibitors Exacerbate NSAID-Induced Small Intestinal Injury by Inducing Dysbiosis. – Gastroenterology. 2011 Jul 13. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21745447
  2. Wang et al.: Meta-analysis: cyclooxygenase-2 inhibitors are no better than nonselective nonsteroidal anti-inflammatory drugs with proton pump inhibitors in regard to gastrointestinal adverse events in osteoarthritis and rheumatoid arthritis. – Eur J Gastroenterol Hepatol. 2011 Oct;23(10):876-80. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21900785

Beitragsbild: 123rf.com – Vladimir Soldatov

Dieser Beitrag wurde letztmalig am 22.02.2017 aktualisiert.

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