Es ist höchste Zeit, diverse Mechanismen deutscher, europäischer und globaler Pharmapolitik näher in den Fokus zu nehmen: Besonders die Bayer AG machte in nicht allzu ferner Vergangenheit durch den Lipobay-Skandal von sich reden.

Im August 2001 hatte der Konzern seinen 1997 eingeführten, von über sechs Millionen Patienten weltweit eingenommenen Cholesterin-Senker vom Markt genommen. Der Grund: Über 50 Todesfälle, die unmittelbar mit dem Präparat in Verbindung gebracht wurden. Die treibende Kraft: Der Pharmakonkurrent Pfizer.

Zur Markteinführung von Lipobay existierten bereits fünf weitere so genannte Lipidsenker gleicher Substanz zur Absenkung der Blutfettwerte weltweit. Um die Konkurrenz hinter sich zu lassen, betrieb man eine vergleichsweise aggressive Werbung.

Pharmavertreter legten den Ärzten Lipobay mit den Argumenten ans Herz, Libobay wirke im Gegensatz zu den bereits am Markt etablierten Vergleichsprodukten schon in weit geringerer Dosierung sehr effektiv.

Etwaige Nebenwirkungen waren nicht wirklich Gegenstand der Beratung. Nicht das Wohl der Betroffenen, sondern Gewinnmaximierung und eine Verdoppelung des Umsatzes lautete die Maxime der Bayer AG: Mehr als eine Milliarde Euro wurde anvisiert, die Ärzte bei entsprechender Verschreibungspraxis mit Reisen im luxuriösen Orientexpress geködert.

Entsprechend blieb es nicht bei niedrigen Dosierungen und damit auch nicht bei geringen Nebenwirkungen. Bayer sah sich gezwungen, das Produkt vom Markt zu nehmen, war aber nicht gewillt, auf Patientenansprüche einzugehen.

Schließlich war man Teil der Initiative Responsible Care und außerdem erfolgreich in den Ethik-Index aufgenommen worden.

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Im Rahmen einer internationalen Pressekonferenz wurde die offizielle Rücknahme von Lipobay verkündet. Die Folge: Aufgebrachte Aktionäre, die man mit dem Versprechen eines Abbaus von weltweit bis zu 5000 Arbeitsplätzen zu beruhigen suchte. Des Weiteren versprach Bayer, seine Pharmastrategie grundlegend zu reformieren.

Bayers Hauptinteresse scheint eher dem fallenden Aktienkurs als den über Lipobay in ihrer Gesundheit Geschädigten zu gelten. In Wuppertal erfolgte der Personalabbau über Versetzung und Vorruhestands-Regelungen, während die Handlungsweise des Managements ohne spürbare Folgen für jene blieb.

Von Einsicht bei der Bayer AG allerdings keine Spur: Man sieht sich als wirtschaftlich geschädigtes Opfer einer Medien-Verschwörung. Schließlich trage nicht allein der Hersteller die Verantwortung für die Gabe von Lipobay, und man könne nichts dafür, wenn manche Mediziner und Patienten die Beipackzettel nicht lesen könnten.

Einzig die IG BCG stärkte Bayer den Rücken und befürwortete außerdem den Massenentlassungen nach sich ziehenden Kauf der Aventis Group, vormals Pflanzenschutz Hoechst. Schwerpunkt: Pflanzengenetik.

Es ist Zeit, die doppelbödige Praxis vieler Ärzte zu überdenken, die sich durch die Pharmaindustrie, deren Werbeetat inzwischen größer als ihr Forschungsetat ist und die als die global profitträchtigste Branche gilt, finanziell unter die Arme greifen lassen.

Auch Effizienz und Glaubwürdigkeit einer Arzneimittel-Behörde, deren Kontrollinformationen sich auf Herstellerangaben stützen, gehört auf den Prüfstand, – nicht zuletzt, da Millionen von Menschen Leib und Lebenserwartung in die Hände dieser sie mit Medikamenten versorgenden Großkonzerne legen.

Bezogen auf Lipobay kann außerdem bezweifelt werden, ob eine Cholesterinsenkung generell imstande ist, Herzinfarkte und Schlaganfälle zu verhindern – im Gegenteil: Studien ermittelten ein größeres Gesundheitsrisiko für ältere Patienten mit sehr niedrigem Cholesterin. Und es ist fraglich, ob man sich bei ungesunder Lebensweise allein auf das Einwerfen von Cholesterinsenkern verlassen und nicht besser seine Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten umstellen sollte.

Derzeit gibt die westliche Welt Milliarden für die schwerpunktmäßige Entwicklung von Medikamenten gegen Zivilisationskrankheiten und Lifestyle-Drugs wie Mittel gegen Impotenz und Haarausfall oder gegen Demenz bei Haustieren aus, während auf der Südhalbkugel im Bereich der Epidemien und Tropenkrankheiten überlebenswichtige Mittel fehlen.

Solange eine weitgreifende gesellschaftliche Diskussion dieser beunruhigenden strukturellen Fakten verzichtbar scheint, werden weiterhin nicht wenige Menschen den Konkurrenzdruck innerhalb der Pharma-Giganten mit gesundheitlichen Einschränkungen, wenn nicht sogar mit ihrem Leben bezahlen.

Lesen Sie weiter über: Nicht untersuchte Wechselwirkungen zwischen Medikamenten.


Beitragsbild: 123rf.com – Vladimir Soldatov

Dieser Beitrag wurde letztmalig am 09.08.2012 aktualisiert.

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