Die Abkürzung BCR steht für „Biological Cell Regulation“. Hierunter versteht man eine elektrische Regulation von Zellen und Gewebe mit sehr schwachen, metabolisch wirksamen Potenzialen, die als „Mikroströme“ bezeichnet werden. Die Stromstärken bewegen sich hier im Mikroampere-Bereich. Der Einsatz dieser Mikroströme dient dazu, den Energiestoffwechsel der Zellen zu verbessern.
Es stellt sich die Frage, wie solche geringen Stromstärken beziehungsweise Strom überhaupt in der Lage sind, den Energiestoffwechsel von Zellen zu beeinflussen und die Zellen zu regenerieren?
Zellregulation und ATP
Es gibt Arbeiten aus den frühen 1980er Jahren, die gezeigt haben, dass der Gehalt an ATP (Adenosintriphosphat = die Energie liefernde Substanz für die Vorgänge in den Zellen) durch den Einsatz von Mikroströmen ansteigt, jedoch bei Einsatz von Milliströmen wieder abnimmt. Die größte Zunahme von ATP erfolgt bei 500 Mikroampere und verringert sich rasch bei größeren Ampere Zahlen.
Die Aussagen beruhen auf Arbeiten von Cheng 1982, der einen Bereich von 100-750 Mikroampere ermitteln konnte, wo es zu einer Stimulationen der ATP Produktion kommt. Außerdem kommt es in diesem Bereich zu einer verbesserten Aufnahme von Aminosäuren durch die Zellmembran. Gleichzeitig beobachtete der Autor ebenfalls eine erhöhte Protein-Synthese, ohne dass Veränderungen im DNA-Metabolismus zu erkennen waren. Das heißt also, dass die erhöhte Protein-Synthese nicht Produkt eines Eingriffs in Vorgänge ist, die den Zellkern betreffen.
Der Mechanismus
Während der Elektrostimulation werden entlang der Membran der Mitochondrien Protonen-Gradienten aufgebaut. Der Strom erzeugt einen Gradienten, wenn Elektronen an der Katode mit Wasser reagieren und Hydroxyl-Ionen bilden. Auf der Seite der Anode kommt es zu einer Produktion von Protonen. Hierdurch entsteht ein Spannungsgradient, der sich über das behandelte Areal/Gewebe ausdehnt.
Der Einfluss dieses elektrischen Feldes und die Differenz der Protonenkonzentration lässt die Protonen von der Anode zur Katode wandern. Während die Protonen über die in den Membranen der Mitochondrien gebundene H+ATPase „wandernden“, induziert das Enzym die Produktion von ATP.
Die gesteigerte Produktion von ATP wiederum stimuliert eine vermehrte Aufnahme von Aminosäuren in die Zelle. Diese beiden Faktoren, erhöhte Mengen an ATP und Aminosäuren, bewirkt eine höhere Proteinbiosynthese.
Mikrostrom Varianten in der Praxis
Bei Mikrostrom gibt es unterschiedliche „Darreichungsformen“, mit denen diese Behandlungsmethode gezielt eingesetzt werden kann. Hier eine grobe Einteilung:
EMS, die elektrische Muskelstimulation
Diese Apparatur erzeugt unterschiedliche Outputs an Wellenformen und arbeitet mit unterschiedlichen Frequenzen. Der Fokus liegt hier auf der Stimulation, Kontraktion und Neukonditionierung der Muskulatur.
TENS, transkutane elektrische Neurostimulation
Die elektrische Stimulation basiert hier auf Milliampere-Ströme, die über die Haut eingebracht werden mit der Absicht, Schmerzsignale zu blockieren, die vom Gehirn herkommen. TENS-Geräte stimulieren sensorischen Nerven und die Produktion von Endorphinen.
Interferenzströme
Die Interferenzströme beruhen auf zwei unterschiedlichen Strömen, die sich im Gewebe kreuzen und hierdurch synergistisch wirken. Interferenzströme sollen tiefer ins Gewebe penetrieren und dadurch die Blutzirkulation im Gewebe anregen. Der primäre Einsatz liegt bei Verletzungen von Gelenken, Schmerzen und Traumata.
Russischer Strom oder “russische Muskelstimulation”
Diese Methode wird eingesetzt, um das motorische Nervensystem zu stimulieren. Gleichzeitig hat es eine viel höhere elektrische Frequenz, verbunden mit einer tieferen Penetration ins Muskelgewebe und einer stärkeren Kontraktion der Muskelfasern. Diese Methode wird primär eingesetzt, um Muskeln aufzubauen und Muskelschäden zu behandeln.
Diadynamische (Sinusoidale) Ströme
Dieser Strom hat zwei Wellenformen, Monophase und Diphase. Die beiden Wellenformen können alleine oder zusammen auftreten. Dieser Strom erzeugt eine wellenartige rhythmische Muskelkontraktion und wird in erster Linie für die Behandlung von großen Bereichen des Körpers eingesetzt. Diese Therapieform ist nicht für spezielle Behandlungen der Gesichtsmuskulatur geeignet, da es hier zu Reizungen und Stimulation der Motornerven kommt.
Faraday´sche Ströme
Dieser Strom besteht aus einem alternierenden und unterbrochenem Strom, der eine mechanische Reaktion erzeugt. Diese mechanische Reaktion wird oft auch als „passives Körpertraining“ bezeichnet, da hier die Muskulatur zu unkontrollierten Kontraktionen verleitet werden kann. Das Einsatzgebiet liegt mehr im Bereich der Kosmetik.
Galvanische Ströme
Diese basieren auf dem Konzept des Galvanismus. Der hier eingesetzte Strom ist direkt und ohne Variation. Der Strom wird über Elektroden verabreicht, die ein positives und negatives Kraftfeld erzeugen, welches wiederum chemische und physiologische Effekte kreiert. Galvanische Ströme beeinflussen Sinnesnerven und motorischen Nerven. Auch diese Form der Behandlung ist im Gesichtsbereich nicht indiziert, da es hier zu Hautverbrennungen kommen könnte.
Was sagt die “Wissenschaft”?
Es gibt mittlerweile eine beträchtliche Anzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen, die Mikroströme bei verschiedenen Indikationen zum Einsatz gebracht haben und untersucht haben, ob hier therapeutische Effekte zu verzeichnen waren.
Eine Arbeit vom April 2020 untersuchte den Effekt einer Mikrostrom Behandlung bei Kniearthrose. 56 Patienten nahmen an dieser Studie teil, die in vier Gruppen aufgeteilt wurden. Gruppe A wurde mit 100 Mikroampere, Gruppe B mit 25 Mikroampere, Gruppe C nur zum Schein und Gruppe D überhaupt nicht behandelt. Die Behandlung erfolgte in zehn Sitzungen für 30 Minuten über den Zeitraum von 22 Tagen. Gruppe A mit 100 Mikroampere profitierte am meisten von der Behandlung im Vergleich zu den anderen Gruppen. Die Autoren schlossen, dass die beobachteten Effekte nicht mit einem Placeboeffekt erklärt werden können.
Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigte an Kaninchen, dass die Regeneration einer verkümmerten Wadenmuskulatur unter einer Mikrostrom-Therapie von 25 Mikroampere deutlich besser ausfiel als unter einer Therapie mit 5000 Mikroampere.
Im Oktober 2020 erschien eine weitere Studie, die eine Mikrostrom-Therapie bei akuten Knieschmerzen in einer randomisierten, doppelblind kontrollierten klinischen Studie zum Inhalt hatte. An der Studie nahmen 52 Patienten teil. Das Ergebnis zeigte, dass nach drei Wochen Behandlung das Schmerzgeschehen in der Verumgruppe deutlich zurückgegangen war. Damit verbunden war eine Verbesserung der Funktionstüchtigkeit des schmerzenden Knies. Von daher sehen die Autoren die Mikrostrom-Therapie als Alternative zu Schmerzmitteln.
Eine Studie aus dem Jahr 2007 untersuchte ultra-niedrige Mikroströme bei der Behandlung von schlecht heilenden Wunden. Die hier eingesetzten Stromstärken lagen bei maximal 3 Mikroampere. Es zeigte sich eine Erfolgsrate von fast 35 % der Fälle mit einer kompletten Wundheilung nach ungefähr 45 Stunden Behandlung. Knapp 40 % der Patienten erzielten eine 50-prozentige und höhere Heilrate nach knapp 40 Stunden Behandlungszeit. Von daher schließen die Autoren, dass diese Behandlungsform nicht nur die Heilung beschleunigt, sondern auch altersbedingte negative Effekte auf die Wundheilung ausschalten kann.
Diese Studie aus dem Jahr 2002 untersuchte die Fähigkeit von Mikrostrom, die Symptome von Muskelschäden zu verringern. Angaben zu den verwendeten Mikroampere wurden nicht gemacht. Aber die placebokontrollierte Studie mit 30 gesunden Männern konnte zeigen, dass die Mikrostrom-Therapie Muskelschäden in ihrer Symptomatik und Schwere reduzieren konnte.
Mikrostrom bei Rückenschmerzen
Rückenschmerzen sind seit langem eine Plage für einen großen Teil der Bevölkerung. Wegen der Häufigkeit dieser Beschwerden und der ungenügenden Therapiemöglichkeiten, die von der Schulmedizin angeboten werden, hatte ich eine Reihe von Beiträgen zu diesem Thema verfasst:
- Rückenschmerzen: Krafttraining besser als Ausdauertraining
- Rückenschmerzen & Hexenschuss – Naturheilkunde und Alternativmedizin
Eine Studie, die bereits im Jahr 2009 durchgeführt wurde, lässt die Vermutung zu, dass auch die Mikrostrom-Therapie hier gute Dienste zu leisten vermag. Es handelt sich um eine Art Pilotstudie mit nur zehn Patienten, die an nicht spezifischen, dauerhaften Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich (lokales Lumbalsyndrom) litten. Die volkstümliche Bezeichnung lautet auch „Hexenschuss“.
In Ermangelung einer Placebogruppe durchliefen alle Teilnehmer eine fünftägige Placebotherapie, an die sich dann eine fünftägige Behandlungstherapie mit Mikrostrom anschloss. Die hier beobachteten Effekte zeigten, dass die Schmerzen in der Behandlungszeit deutlich zurückgingen. Damit verbunden war auch ein deutlicher Rückgang des Einsatzes von Schmerzmitteln. Allerdings stieg der Einsatz von nichtsteroidalen entzündungshemmenden Substanzen. Die Teilnehmer berichteten auch von einer Verbesserung der Lebensqualität während der Behandlungsphase.
Im Jahr 1991 wurde ein Bericht veröffentlicht, der der Frage nachging, ob die Mikrostrom-Therapie eine „Welle für die Zukunft“ sei. Der Autor schien in einem Institut für physikalische Therapie und Sportmedizin in Ohio zu arbeiten.
Er beschreibt, dass nach sechs Jahren intensiven Einsatzes von MENS nicht einmal ein negatives Resultat zu sehen gewesen war. Im Gegenteil, die Methode hatte dauerhaft voraussehbare Resultate bei einer Reihe von Patienten abgeliefert. Für ihn ist diese Methode mehr als empfehlenswert.
Mikrostrom-Therapie – alles eitel Sonnenschein?
Es ist überraschend zu sehen, wie viele positive Studien und Fallberichte im Zusammenhang mit der Mikrostrom-Therapie veröffentlicht worden sind. Mir ist in der Tat nicht eine Arbeit aufgefallen, in der keine positiven Therapieergebnisse Vorlagen oder sogar bedenkliche Nebenwirkungen aufgetreten sind.
Mit einer Ausnahme: Am 28. Januar 2021 veröffentlichten zwei Autoren eine Arbeit mit dem Titel „Mikrostrom-Therapie – mehr Transparenz bei den eingesetzten Parametern vonnöten“. Die beiden Autoren kommen von zwei verschiedenen Institutionen, der Uniklinik Hannover und der Ludwig Maximilian Universität in München.
Die Überschrift lässt auf ein prinzipielles Problem schließen, welches die Autoren wohl kritisch unter die Lupe genommen haben. Leider hat man sich entschlossen, kein Abstract zu veröffentlichen und die Arbeit selbst hinter einer Bezahlschranke zu verbergen.
Fazit
Die Mikrostrom-Therapie scheint mit ihren verschiedenen Facetten eine sehr erfolgreiche Therapie bei einer Reihe von Indikationen zu sein, die vor allem im orthopädischen und physiotherapeutischen Bereich beheimatet sind.
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